Mittwoch, 4. Mai 2011

Die optimale Trittfrequenz

Die Suche nach der „richtigen“ Trittfrequenz spaltet die Radsportgemeinschaft. Jan Ullrich zeigte uns, wie man mit einem schweren Gang und niedriger Trittfrequenz die Konkurrenz stehen lässt. Ihm folgte Lance Armstrong der „nähmaschinen-gleich“ allen davon fuhr. Welche ist nun die optimale Trittfrequenz und unterscheidet sie sich beim Fahren in der Ebene und am Berg? Es scheint ausgeschlossen, eine allgemeingültige Antwort auf diese Fragen zu finden. Trotzdem gibt es einige theoretische Ansätze, die versuchen das im Radsport beobachtete zu erklären.

Im wesentlichen beeinflussen zwei muskuloskelettale Phänomene die Leistungsfähigkeit bei zyklischen Bewegungen wie dem Pedalieren. Zum einen ist die Verkürzungsgeschwindigkeit, die resultierende Kraft und damit auch die erzeugte Leistung zeitabhängig. Das bedeutet vereinfacht gesagt, dass der Muskel zu unterschiedlichen Zeitpunkten des Verkürzungszyklus unterschiedliche Leistung erbringen kann. Im Mittel beträgt diese etwa 42% der maximalen Leistung. 7
Des Weiteren beeinflusst die „Aktivierung-Relaxtions-Dynamik“ die Trittfrequenz. Es ist nicht möglich, dass der Muskel während seiner gesamten agonistischen bzw. synergistischen Phase aktiviert und während der gesamten antagonistischen Phase eines Bewegungszyklus relaxiert ist. Der Muskel muss, damit er zu Beginn der Dehnphase eine möglichst geringe Aktivität aufweist, bereits vor dieser Phase deaktiviert werden. Dadurch ist der Muskel bei einem Teil der Verkürzungsphase nicht mehr maximal aktiviert. Je schneller der Bewegungszyklus bzw. je höher die Trittfrequenz ist, desto früher (relativ zur Dauer der Verkürzungsphase) muss der Muskel bereits deaktiviert werden, damit bei der exzentrischen Phase ein möglichst geringer Widerstand besteht. Neben den Phasen der submaximalen Aktivierung führt bei zunehmender Trittfrequenz auch der häufigere Übergang von Kontraktion zur Entspannung zu einer Abnahme des muskulären Leistungspotentials. Die Aktivierungs- bzw. Deaktivierungsphasen können aufgrund der Neurologie und Physiologie der motorischen Einheit auch bei höherer Trittfrequenz nicht schneller ablaufen und beanspruchen damit relativ gesehen einen größeren Zeitraum pro Bewegungszyklus.7

Das Phänomen, warum Radsportler am Berg eine andere Trittfrequenz wählen als in der Ebene ist nicht abschließend geklärt. Geht man davon aus, dass das menschliche Muskel-Skelett-System wie jeder Motor eine optimale Tourenzahl also Trittfrequenz hat, müsste diese auch für das bergauf Fahren gelten. In der Praxis ist dieses jedoch nicht zu beobachten. Auch wissenschaftliche Studien konnten feststellen, dass die selbstgewählte Trittfrequenz beim bergauf Fahren niedriger ist als beim Fahren in der Ebene.9,11 In der Ebene ist eine Trittfrequenz von etwa 95 rpm (revolutions per minute) und am Berg von etwa 75 rpm am häufigsten zu beobachten. 7
Untersuchungen bezüglich der Auswirkungen veränderter Widerstandskräfte bzw. veränderter „crank inertial load“ (CIL) auf das Bewegungsmuster der Radfahrer konnten zeigen, dass mit zunehmender CIL das maximale auf die Tretkurbel wirkende Drehmoment zunimmt und das minimale Drehmoment abnimmt.1,2,6,8,9 Diese Beobachtung führt zu dem Schluss, dass der Radfahrer, mit zunehmenden Widerstand den „runden“ Tritt verliert. Untersuchungen, die die Aktivität verschiedener Muskelgruppen bei unterschiedlichen CIL untersuchten, kamen zu keinen einheitlichen Ergebnissen.3,4,5,10 Zusammenfassend kann jedoch gesagt werden, dass mit sinkendem CIL auch die Aktivität einiger Muskelgruppen (z.B. gluteus maximus, rectus femoris) sinkt und die Aktivität anderer Muskelgruppen (z.B. biceps femoris, tibialis anterior, gastrocnemius), welche für die Beugung im Knie-, Hüft- und Sprunggelenk verantwortlich sind, steigt. Das bekräftigtdie Vermutung, dass Radfahrer am Berg einen „runderen“ Tritt fahren. 7

Auch die Energiebereitstellung bzw. die maximale Sauerstoffaufnahme könnte zu einem die Trittfrequenz beeinflussenden Faktor werden. Übersteigt der Sauerstoffbedarf die maximale Sauerstoffaufnahme, bleiben dem Radfahrer zwei Möglichkeiten drauf zu reagieren. Entweder er reduziert die Muskelaktivität bei gleichbleibender Trittfrequenz oder er reduziert die Trittfrequenz bei gleichbleibender Muskelaktivität.7
Auch die Tatsache, dass im Gegensatz zum Fahren in der Ebene der Luftwiderstand beim bergauf Fahren eine deutlich geringere Rolle spielt, sehen einige Autoren7 als mögliche Begründung für die niedrigere Trittfrequenz am Berg. Die Radfahrer können dort eine aufrechtere Position einnehmen und so die Hüftmuskulatur während der Zugphase besser nutzen. Dadurch, dass mehr Muskulatur eingesetzt wird, kommt es auch zu einem erhöhten Energieverbrauch und Sauerstoffbedarf. Ungeachtet dessen, welche Ursache der erhöhte Energie- und Sauerstoffbedarf hat, würde dieser aufgrund der oben dargelegten Argumentation eine niedrigere Trittfrequenz als die ökonomischere Reaktion des Radfahrers begründen.

Natürlich erklärt die oben angeführte Diskussion das Phänomen der unterschiedlichen Trittfrequenzen am Berg und in der Ebene nicht abschließend. Weitere Untersuchungen bei denen eine Spiroergometrie und auch eine Erhebung der Muskelaktivität jeweils für das Fahren in der Ebene und am Berg durchgeführt wird, könnten weitere Erkenntnisse bringen. Auch mit neuen Erkenntnissen bleibt zu bedenken, dass jeder Mensch eine andere anthropometrische und muskelphysiologische Voraussetzungen hat und es somit nur eine individuelle optimale Trittfrequenz gibt, die keine Allgemeingültigkeit besitzt. In diesem Sinne: Kette rechts!

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